Benedikt Kaiser (li.) und Jonas Schick (re.) auf der Frankfurter Buchmesse.
Jonas Schick: Meine Erwartungen waren nicht sehr hoch gesteckt. Es war ja bereits im Vorfeld klar, dass die diesjährige Frankfurter Buchmesse nur mit einem Bruchteil der gewohnten Zuschauer- und Ausstellerzahlen stattfinden würde. Mit dem üblichen Buchmessen-Flair war also nicht zu rechnen. Das hatte jedoch seine Vorteile: Die Standgebühren fielen wesentlich günstiger als sonst aus, speziell für Mitaussteller als der wir vom Oikos Verlag im Stand von Jungeuropa angesiedelt waren. Daher konnten wir es uns überhaupt leisten, als Kleinstverlag in Frankfurt auszustellen. Wir wollten vor allem eine angenehme und ruhige Zeit auf der Buchmesse verleben, mit den Freunden von Jungeuropa uns selbst genießen und bei dem ein oder anderen Messe-Besucher mit der »Kehre« für kognitive Dissonanzen sorgen. Mit unserer Standposition in der Halle 3 auf der Ebene 1 war dafür alles angerichtet.
Dass wir das ZDF als Standnachbarn bekamen und damit auf einmal im Zentrum der Zuschauerströme standen, ergab sich erst relativ kurzfristig, rund einen Monat vor der Messe. Dass dann auch noch Jasmina »Quattromilf« Kuhnke unseren Stand zum Anlass nahm, Ihren »Überraschungsauftritt« auf der Buchmesse abzusagen, katapultierte uns unverhofft ins Rampenlicht. Dadurch wurde aus einem Verlustgeschäft um der Präsenz willen, fünf Tage, die sich auf lange Sicht mit ziemlicher Sicherheit bezahlt machen werden. Und wir haben nur einen Bruchteil der Aufmerksamkeit abbekommen, die dem Jungeuropa Verlag zuteil wurde.
Die öffentliche Behandlung nach der Absage Kuhnkes verlief, wie man es als Rechter in Deutschland gewohnt ist. Dass man sich aber derart an unserer Teilnahme abarbeiten würde, kam etwas überraschend: Wie Sie schon sagten, durch den Erregungszirkus wuchs unser kleiner acht Quadratmeterstand gefühlt auf Hallengröße an – zumindest was die Relevanz anbelangt, die man uns beimaß. Alle Augen waren auf uns gerichtet, in dieser Hinsicht hat Kuhnke unseren Erfolg für den eigenen sehend in Kauf genommen. So viel Intelligenz sollte sie haben und daher sehe ich ihr Gebahren nicht unwesentlich von PR-Kalkül angetrieben. Zeitgleich zeigte sich in der Art der Aufmerksamkeit der wahnhafte Zustand, in dem sich die linksliberal dominierte bundesrepublikanische Öffentlichkeit befindet. Unsere Präsenz stelle eine Gefahr für Leib und Leben von »People of Colour« (PoC) dar, wir hätten Morddrohungen gegenüber Frau Kuhnke geäußert, um unseren Stand herum sei es nicht sicher usw. Die Leute, Frau Kuhnke inklusive, steigerten sich in haltlose Behauptungen hinein.
Die Buchmesse hat noch einmal augenscheinlich werden lassen, wie bereits bei den Teilnahmen des Antaios Verlags von Götz Kubitschek, was wir seit geraumer Zeit eh schon wissen: Jegliches Maß ist verlorengegangen. Was sich jedoch geändert hat, ist, wie über vermeintlichen Rassismus gesprochen wird. Dies findet nun vermehrt in den Korridoren linksextremer Diskurse statt – »Quattromilf«, Sibel Schick, Jutta Ditfurth und Konsorten machen es vor. Die Prognose des österreichischen Publizisten Martin Lichtmesz aus seinem kaplaken-Bändchen »Rassismus« ist auf der Buchmesse 2021 Realität geworden: Das »Einwanderungsland« Deutschland zeigt sein diversifiziertes, universalisiertes Gesicht, das »sich von allen Befleckungen durch Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit« zu reinigen und dabei seine Selbstauflösung zu vervollkommen sucht. Jede Form der Selbstbehauptung wird in diesem Diskurs zu weißem Rassismus, jede Grenzziehung von Innen und Außen zu Gewalt erklärt. Keine drei Jahre nach dem Lichtmesz-Essay ist das von ihm in Aussicht gestellte »bald« zu einem »jetzt« geworden: Über der gesamten Buchmesse schwebte ein siegesgewisses Spotten über »white extinction anxiety, white displacement anxiety« und »white minority anxiety«.
Alles in allem hat sich der Börsenverein gegenüber uns sehr korrekt verhalten. Unser Stand wurde nicht kurzfristig verlegt und in den Antworten auf Presseanfragen waren die Verantwortlichen sichtlich um Neutralität bemüht – die in der BRD obligatorischen Distanzierungen von unserer Weltanschauung sind geschenkt. Nichtsdestotrotz kam es innerhalb des Börsenvereins ob unseres Standes zu Spannungen. Einige hätten uns gerne wieder in einer »Arschlochecke« oder am besten gleich gar nicht mehr auf der Buchmesse gesehen, der andere Teil beharrte auf den Grundprinzipien der Messe, also der Meinungsfreiheit als hohes Gut, die auch von der Beobachtung durch einen übergriffigen Inlandsgeheimdienst unberührt bleibt.
Diese Spannungen bekamen wir insofern zu spüren, dass die Sicherheitsverantwortliche der Buchmesse meinte, der Einhaltung der Covid-Verordnungen an unserem Stand oberste Priorität beizumessen und diese Einhaltung selbst zu überprüfen, indem sie stundenlang im Sitzbereich vor unserem Stand saß und uns nicht aus den Augen ließ. Während an anderen Ständen sich die Leute dicht an dicht drängten oder bspw. am Länderstand von Thüringen ein Weinausschank anscheinend keinen Anlass für ein Einschreiten boten, drohte man uns mit Abmahnungen, sollten vor und in unserem Stand die Abstandsregeln nicht eingehalten werden. Der Bier, Wein- und Kaffeeverköstigung außerhalb des Standes hatte man uns gleich ganz untersagt. Ein Teil des Börsenvereins wusste uns, hintenherum die Daumenschrauben anzudrehen.
Auch hier blieb es vergleichsweise ruhig. Das mag an den gedeckelten Besucherzahlen und dem ausschließlichen Zugang über Online-Tickets gelegen haben. Der Messe-Samstag war zum Beispiel schon vor der ganzen Aufregung um unsere Präsenz ausverkauft gewesen. Da kam man an keine Tickets mehr ran, um kurzfristig eine Antifa-Aktion an unserem Stand zu initiieren. Und so blieb es abseits einzelner Anfeindungen und dem ein oder anderen zerrissenen Jungeuropa-Programm friedlich.
Die Rückmeldungen zu diesen Spezialformaten fielen rundum positiv aus. Die Livestreams werden für diejenigen, die sie verpasst haben oder zeitlich verhindert waren, zudem noch nachträglich auf unseren jeweiligen YouTube-Kanälen eingestellt werden. Allerdings waren diese Livestreams abgesehen von den Podcasts nur eine Reaktion auf die Coronaregeln vor Ort. Eine Flucht ins Digitale, da wir aufgrund unserer Standgröße keine Veranstaltungen im normalen Rahmen durchführen durften. Man macht eben das Beste aus der Situation.
Die Stimmung war, wie es bereits schon in einer meiner vorigen Antworten anklang, insgesamt entspannt. Allerdings blieb die Messe aufgrund der speziellen Coronabedingungen leider nur ein Schatten ihrer selbst. Wer die Messe noch vor Corona erlebt hat, das rege Treiben, die aufwendigen Stände der Länderpräsenzen, enge Gassen, quasi Buch an Buch, für den musste die erste Messe nach der Coronapause wie eine Geisterfahrt vorkommen. Man fühlte sich inmitten eines Räumungsverkaufs. Dahingehend gab es für die Gäste, die die Messe speziell wegen uns besucht hatten, nur wenig über den Jungeuropa/Oikos-Stand hinaus zu sehen. Abgesehen davon war es natürlich schön, dem ein oder anderen Leser in Person zu begegnen und ins Gespräch zu kommen.
Zuallererst vollkommen unpersönlich, während die an uns grenzenden Stände der Büchergilde und des Verbandes der Schriftsteller einsehbar und durch die Besetzung mit dem stets gleichen Personal auch persönlich greifbar waren, trennte sich das Blaue Sofa des ZDF über halbdurchlässige von der Decke heruntergelassene, mit Konterfeis versehene Banner von dem normalen Messetreiben ab. Die in dieser abgetrennten Zone stattfindenden Gespräche stellten indes einen der Zuschauermagnete der Messe dar und so war uns ein reger Betrieb vor unserem Stand vergönnt. Gleichwohl muteten die Programmpunkte der ZDF-Bühne wie ein Gegenprogramm zu unserem Stand an. Es war im Grunde eine Gegenkundgebung, ohne dass wohl die Intention seitens des ZDF bestand, das Programm als Antwort auf uns zu konzipieren. Schließlich stand dieses schon lange vor dem Trubel um uns fest. Das Blaue Sofa kannte fast nur die Themen: »Holocaust, »Rassismus«, »Gender« und sonstige vermeintliche Minoritätenprobleme. Speziell der von Ihnen erwähnte Auftritt von Caroline Kebekus war angesichts seiner Intellektuellen Flachheit, die darüber hinaus mit einer überdrehten Selbstgewissheit dargeboten wurde, nur schwer erträglich. Qualitative Literatur oder Sachbücher musste man zumindest auf dem Blauen Sofa mit der Lupe suchen, dafür gab es politisch Selbstgefälliges im Überfluss. Wie man sich bei dieser erdrückenden linksliberalen Diskurshoheit über der Buchmesse, eine Bedrohung der eigenen Person mit ausländischem Hintergrund herbeiphantasieren kann, bleibt mir weiterhin ein Rätsel.
Ganz vorbei ist die mediale Hysterie noch nicht. Während wir miteinander reden, tippt wahrscheinlich gerade der nächste Journalist seine Nachbetrachtung zur Buchmesse in den Laptop. Aber schlußendlich profitieren wir von dieser Aufmerksamkeit. Ein Großteil der Bestellungen, die bei uns über die Messe eingingen, wurden von Neukunden aufgegeben. Bei Jungeuropa sieht es ähnlich aus. Die Aufregung hat uns bekannt gemacht. Für eine ähnliche Werbekampagne zahlt man normalerweise Unsummen, wenn es überhaupt in Geld beziffert werden kann. Daher war die Buchmesse für uns ein voller und unverhoffter Erfolg. Wir haben auf jeden Fall Blut geleckt. Konkrete Termine haben wir aktuell noch nicht zu vermelden, wir planen aber bereits. Sobald etwas Greifbares vorliegt, werden unsere Leser es zuerst erfahren. Für den Oikos Verlag hat die Fertigstellung der »Kehre« Nr. 8 mit dem Thema »Massengesellschaft«, die Mitte Dezember erscheinen wird, nun Vorrang. Außerdem sitzen wir am ersten Band der »Reihe Oikos«, einer Sammlung ökologischer Schriften aus der Feder des Vordenkers der Nouvelle Droite, Alain de Benoist. Reichlich zu tun, also.
Über den Interviewpartner: Jonas Schick
Geboren 1989 in Berlin, aufgewachsen bei Mannheim, arbeitet als freier Publizist und Lektor. Er studierte Politikwissenschaft an der Universität Mannheim und Soziologie und Sozialforschung an der Universität Bremen (M.A.). Sein Hauptaugenmerk gilt umwelt- und wirtschaftssoziologischen Fragestellungen sowie der politischen Ideengeschichte.
„Die Kehre“ im Netz: https://die-kehre.de/
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